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Der Style des Senegal | Mode & Bekleidung

Der Style des Senegal | Mode & Bekleidung

Der Style des Senegal | Mode & Bekleidung

Die international erfolgreiche Modedesignerin Adama Paris kleidet Stars wie Beyoncé ein. Damit ebnet sie auch den Weg für junge Kreative in ihrer Heimat. Eine Reportage aus Dakar von Gabriel Proedl (Text) und Hien Macline (Fotos)

Die Königin wird erwartet. Ein Chauffeur hat sie hierher gebracht, zur Rue Corniche in einem armen Viertel von Dakar, Senegal. Es ist die Heimatstadt der Designerin Adama Ndiaye. Die internationale Modeszene kennt die 45-Jährige als Adama Paris, hier nennt man sie beim Adelstitel: „Königin der Mode“.

Zum ersten Mal seit längerer Zeit ist sie wieder aus der französischen Hauptstadt zu Besuch. In Paris ist die Diplomatentochter aufgewachsen, dort hat sie das Schneiderhandwerk gelernt, ihr eigenes Label gegründet und internationalen Ruhm erlangt. Und dabei immer den Kontakt nach Dakar gehalten. Zehn Tage will sie bleiben in der Stadt, die auch dank ihr zum Zentrum der westafrikanischen Modeszene wurde.

In der Rue Corniche ganz im Westen der Stadt hat sie eine Boutique. Das Portal ist aus buntem Wellblech gezimmert, in den Schaufenstern sind Kleider ihrer Kollektion ausgestellt. Hinter einer vierspurigen Straße liegt der muslimische Friedhof, dahinter das Meer. Wenige hundert Meter sind es zum westlichsten Punkt des Kontinents. Adama Paris betritt den Laden, ihre Mitarbeiterin Fatou hat zuvor lange Staub gefegt. Es riecht nach Abgasen und Jean Paul Gaultiers Parfum „So Scandal“.

Als sie vor 17 Jahren die Boutique eröffnete, führte durch das Viertel nicht einmal eine Straße. Mittlerweile haben sich Fotografinnen und Designer in der Nähe angesiedelt. Das größte Geschenk an ihr Land ist aber die „Dakar Fashion Week“, die sie vor 20 Jahren zum ersten Mal veranstaltet hat – zur damaligen Zeit das erste Event dieser Art auf dem afrikanischen Kontinent. Jetzt ist Dakar die Hauptstadt der Mode.

Mode im Senegal: Es gibt auch eine „Black Fashion Week“

Adama Paris ist international erfolgreich und kleidet Stars wie Beyoncé ein. Ihr eigener Fernsehsender „FA TV Channel“ wird in 46 afrikanische Länder übertragen und sendet 24 Stunden am Tag „Fashion made in Africa“. Ihre „Black Fashion Week“ reist mittlerweile von Dakar aus um die Welt, nach Brasilien, Montreal, Prag und Paris, dort direkt am Place Vendôme, zwischen Luxushotel Ritz und Chanel-Boutique. „Ich habe 20 Jahre meine Bühne gehabt“, sagt Paris, „jetzt will ich anderen zeigen, wie man sich die Bühne nimmt.“

Die Straßen Dakars wirken an manchen Tagen wie ein öffentlicher Laufsteg: Frauen und Männer schreiten in kunstvoll bestickten Boubous, rechteckige Stoffe mit einer Öffnung für den Kopf, die über den Körper gestreift werden. Dazu tragen sie bunte, aufwendig gewebte Kopftücher. Aber auch recycelte Kleidung, extravagante Entwürfe, hohe Schuhe und transparente Oberteile.

Dank Designerinnen wie Adama Paris oder Oumou Sy, die 70-jährige Grand Dame der Mode im Senegal, wird die Szene auch international bekannt. Sie inspirieren und unterstützen junge Kreative, helfen bei Firmengründungen. Immer mehr senegalesische Künstlerinnen und Musiker tragen bewusst keine Mode aus Europa, sondern lassen sich Einzelstücke im eigenen Land anfertigen.

Loumou Evans will die große Karriere - wie Adama Paris

Einer der angesagten Designer ist der 22-jährige Loumou Evans. Vergangenes Jahr hat er fast alle großen Musikvideodrehs im Senegal ausgestattet. In der Kunstszene Dakars ist er bereits ein Star. Im Vergleich zu Adama Paris hat seine Karriere gerade erst begonnen. Von den ganz Großen wie ihr will er lernen.

In der Straße von Loumou Evans’ Studio hat es einen Rohrbruch gegeben, das Wasser steht knöcheltief. Frauen nehmen ihre Schuhe in die Hand, heben ihre Boubous und waten durch das schlammige Wasser. Evans balanciert über eine Betonkante auf eine schwere Eisentür zu und schiebt den Riegel vor. Tische, Stühle und Kisten stapeln sich in dem Raum, in dem seine Tante ein Restaurant eröffnen will. Bis dahin darf Loumou hier mietfrei sein Atelier einrichten. „Fattah!“, sagt er zu seinem jüngeren Bruder, „schalte den Ventilator ein. Es ist schon wieder so heiß.“ „Ich wollte etwas Strom sparen“, sagt Fattah. Der Raum hat keine Fenster, nur eine große Tür, doch selbst die bleibt immer geschlossen. „Ich will ungestört arbeiten, niemand soll wissen, dass ich von hier die Modeszene revolutioniere“, sagt Evans mit bewusster Übertreibung. An einer Wand hat er eine komplette Ausgabe der französischen „Vogue“ geklebt: „Irgendwann will ich da auch rein.“

Der Style des Senegal | Mode & Bekleidung

Junge Kreative im Senegal: Hoffen auf den Durchbruch

Alle paar Minuten schaut er auf sein Smartphone. 27 700 Menschen folgen ihm auf Instagram – Kunden und bekannte Künstlerinnen und Künstler aus dem Senegal und aus Westafrika. Wer seinen Account sieht, möchte meinen, Loumou Evans sei Kreativdirektor eines französischen Labels mit eigener Produktion und verschiedenen Abteilungen von Werbung bis Vertrieb. Wenige wissen, dass alles, was er macht, hier in diesem kleinen Studio entsteht. Ohne Angestellte, auf einer einzigen alten Nähmaschine. Seine Gehilfen: die Brüder Shal und Fattah, 16 und 18 Jahre alt. Hier leben und übernachten sie auch, auf schmalen Feldbetten zwischen Schneidetisch und Kleiderstangen.

Loumou Evans lernte nicht in einem Atelier in der französischen Hauptstadt, wie sein Vorbild Adama Paris, er lernte auf der Straße. Bei Schneiderinnen, die in seinem Viertel an zahlreichen Hauseingängen ihre Nähmaschinen aufgestellt haben. Evans beobachtete sie schon als Kind; im Alter von neun Jahren begann er zum Spaß, mit der alten Maschine seiner Großmutter zu nähen. Später leistete er Hilfsarbeit bei seiner Tante, selbst eine Schneiderin: Schmale Bahnen aus Stoffresten vernähte er zu größeren Stücken, aus denen die Tante Hemden und Boubous fertigte. „Nähen kann in meiner Familie jeder“, sagt Loumou Evans, „aber alle machen traditionelle Kleidung.“ In Dakar heißt das: Näherinnen und Näher stellen eine Maschine in einen kleinen Stand auf der Straße oder arbeiten in Markthallen nebeneinander. Alle sind eigenständig, es gibt kaum Zusammenschlüsse oder gemeinsame Ateliers. Sie fertigen Auftragsarbeiten an, alles Einzelstücke, nähen Boubous für Taufen und Hochzeiten.

Die Modeszene in Dakar wächst

Als Loumou Evans die Schule ein Jahr vor dem Abschluss verließ, sollte er auch so werden: Schneider in einer großen Markthalle wie der des stadtbekannten Marché Sandaga, wo sich Stoffe und Garne bis zur Decke stapeln, Schnüre gedreht und Stoffe gewebt werden. Seine Tante riet ihm, dorthin zu gehen. Noch im selben Jahr bekam er die Nähmaschine seiner Großmutter geschenkt; weil er schüchtern war, traute er sich aber nicht in die Halle. Er eröffnete seine erste kleine Stube. Die Tür hielt er verschlossen.

Seine Tante machte ihn mit den Stoffhändlern und Weberinnen bekannt, brachte ihm bei, wie man am Markt verhandelt und im Geschäft die Preise festlegt. „Kenne deine Straße“, habe sie ihm geraten, „arbeite anfangs für ein Taschengeld, bis die Menschen wissen, was du kannst.“ Zu Beginn habe sie ihm sogar einen Teil ihrer Kundschaft überlassen. Evans verdiente schnell Geld – am meisten bei Ausbesserungen. Seine Tante war zufrieden. Sie überlegte, alle ihre Kontakte an ihn zu übergeben und ein Restaurant zu eröffnen. Evans aber lehnte ab. Er entschied sich, anders zu sein als ein traditioneller senegalesischer Schneider.

Loumou Evans hat seit drei Tagen kaum geschlafen. Er wischt sich den Schweiß aus dem kantigen Gesicht. „Ich tue alles, um erfolgreich zu werden“, sagt er, „ich arbeite ohne Pause – wenn ich groß bin, dann will ich so berühmt sein wie Adama Paris.“

Mode im Senegal: Inspiriert von Stars wie Beyoncé

Evans hat früh gespürt, dass er anders war. Als Jugendlicher war er scheu; sein Mittel, seine Persönlichkeit zu zeigen, wurde die Kleidung. Einmal, etwa vor drei Jahren, sagt er, habe er zum ersten Mal ein selbstgenähtes Outfit getragen. Er zeigt Bilder auf seinem Smartphone: Schwarze Turnschuhe mit roten Lack-Strichen bemalt, über die Hose die Signalstreifen einer Warnweste geklebt. Ein zusammengeflicktes Sakko aus alten Stoffresten. „Die Leute dachten, ich sei ein Star. Als ich ihnen sagte, ich sei aus Dakar, wollten sie mir nicht glauben.“ Das mag daher kommen, dass sich Evans von Stars inspirieren lässt: Auf Instagram folgt er Musikgrößen, im TV-Sender von Adama Paris studiert er die Models. Er selbst will nicht berühmt werden, sagt er, aber sein Label, das soll international erfolgreich sein. „Mein Gesicht muss niemand kennen, meine Kleidung schon“, sagt er, „ich will ein richtiges Label in Europa oder Nordamerika, wie Gucci. Die machen mutige Entwürfe.“ Er will Angestellte und einen Vertrieb, eine Webseite und eine Werbekampagne. „Ich habe aber keine Ahnung, wie das geht“, sagt Evans. „Du musst auf eine Schule, mein Freund“, sagt sein Bruder Fattah.

Evans schaltet Musik ein. Er setzt sich an die Nähmaschine und kramt sein Handy hervor. Er hat eine Videonachricht erhalten, zeigt das Video: „Schönen Abend, lieber Lou. Ich schicke dir Fotos, damit du weißt, was für ein Hemd ich will.“ Die Kommunikation im Senegal läuft häufig über Instagram und andere soziale Netzwerke. Darüber werden Nachrichten geschrieben und sogar telefoniert. Die meisten Firmen verzichten komplett auf klassische Webseiten – ein Instagram-Kanal genügt. So funktioniert das auch bei Loumou Evans: Kundinnen und Kunden entdecken über Empfehlungen von Freunden seinen Account und schicken Kleidungswünsche per Chat. Evans erfüllt den Auftrag, packt das fertige Stück in eine Tüte und verschickt es mit Paketdiensten. Gezahlt wird per Paypal oder Überweisung.

Adama Paris interessiert sich für die Entwürfe der jungen Kreativen. Über Loumou Evans sagt sie: „Er ist talentiert!“ Viele versuchen, ein Praktikum bei ihr zu bekommen. Paris wählt nach harten Kriterien aus. Sie sagt nur zu, wem sie eine internationale Karriere zutraut. Wenn möglich, absolvieren sie das Praktikum nicht nur im Senegal, sondern auch in Paris, wo in der Nähe des Place de la Bastille der Hauptstandort ihrer Boutiquen ist. Hin und wieder schauen dort auch senegalesische Designerinnen und Designer vorbei. „Alle wollen global gehen, aber wissen nicht, wie der Markt außerhalb Senegals funktioniert. Wie sollten sie auch?“, fragt Adama Paris. Eine Modeschule etwa lehre viel mehr, als gute Mode zu machen. Sie lehre, groß zu denken: „Ein guter Schneider muss nicht von anderen das Schneidern lernen. Das lernt er von allein. Er muss lernen, aus seinem Talent etwas Größeres zu machen.“

„Wir müssen uns vom westlichen Denken befreien“, sagt Designerin Adama Paris

Europa soll nicht die einzige Chance für den Durchbruch bleiben. Adama Paris sucht seit Jahren Investoren für ihr bisher größtes Projekt: Sie will eine Fabrik nahe Dakar bauen, mit 100 Angestellten. „Wir wollen nur produzieren, was wir auch verkaufen, und die Arbeitsbedingungen sollen so gut wie in Frankreich sein.“ Später sagt sie: „Ich will hier im Senegal eine Szene aufbauen – wenn wir es nicht machen, wer macht es sonst? Wir sollen nicht auf die Hilfe von Europa angewiesen sein – wir brauchen kein Mitleid.“ Adama Paris will das Selbstbewusstsein ihres Heimatlandes stärken. Corona könnte ihr dabei helfen: Viele Reiche kauften nicht mehr in Paris oder Dubai, sondern gingen zum lokalen Schneider. Paris sagt auch: „Wir müssen Erfolg neu definieren. Denn wer bestimmt, dass der Durchbruch nur dann gelungen ist, wenn man Boutiquen in Paris, London und New York hat? Das ist westliches Denken!“

In seinem Atelier arbeitet Loumou Evans weiter an seiner Nähmaschine. Er erzählt, wie er zum ersten Mal seine Kollektion mit Models fotografierte. Auf Instagram schrieb er ein Casting aus, für das sich mehr als 100 Models bewarben. Evans entschied sich für Marina, die nur ein paar Straßen weiter wohnt. Sie kommt aus einer achtköpfigen christlichen Familie, Evans ist streng muslimisch. Die beiden verbindet seither eine enge Freundschaft.

Doch kurze Zeit nach dem Casting erkrankte seine Mutter schwer. Sie kam ins Krankenhaus und verstarb wenige Tage später. Bis heute weiß Evans nicht, woran. Er blieb mit seinen beiden Brüdern zurück, für die er nun alleine sorgen muss. Sein Blick geht zu Boden. Seine Halsschlagader pulsiert. Darüber seine Tattoos, die er nach dem Tod seiner Mutter stechen ließ.

Ein großes A für Awa, seine Mutter. Ein F für Fattah, ein S für Shal. So sollte ab jetzt auch sein Label heißen: AF-Shal. „Ich habe überlegt, mit allem aufzuhören. Aber das ging nicht, ich musste für meine Geschwister sorgen. Zwei Tage nach ihrem Tod machte ich das Shooting mit den Models.“

Nachwuchsdesigner Loumou Evans schuftet Tag und Nacht für seinen großen Traum

Evans greift zum Handy und ruft Marina an. 20 Minuten später steht sie im Atelier. Eine schmale, aufrechte junge Frau. Sie modelt für Evans – und für Evans größtes Idol, Adama Paris. Zwei Mal ist Marina für sie bereits auf der Dakar Fashion Week gelaufen. Evans war noch nie dort. Aber er kennt Designerinnen und Designer, die dadurch den Sprung geschafft haben. Plötzlich werden Investoren aufmerksam, oder europäische Firmen laden zu Praktika ein. Evans träumt von einer größeren Werkstatt, mehreren Nähmaschinen und Angestellten. Marina soll die erste Mitarbeiterin sein, das hat er ihr bereits versprochen.

Am Abend im Atelier ölt er seine Nähmaschine, putzt sie und spannt den Keilriemen ein, tritt das Pedal bis zum Anschlag durch. Es klingt wie ein kleines kaputtes Motorrad. Evans spannt Zwirn ein und beginnt ohne eine einzige Zeichnung mit dem Entwurf. So wird er noch bis zum nächsten Morgen arbeiten. Seine beiden Brüder werden währenddessen bei grellem Licht auf schmalen Feldbetten neben der Nähmaschine schlafen.

Die Recherche wurde gefördert vom European Journalism Center sowie der Bill & Melinda Gates-Stiftung.

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