Der Hintergrund, die Gesprächspartnerinnen und ihre Outfits – alles an diesem TV‑Interview im Rosengarten wirkt mondän. Talkmasterin Oprah Winfrey plaudert mit Sängerin Adele. Diese spricht von ihrem Kummer als Kind, nachdem der Vater die Familie verlassen hatte, von ihren Gewissensbissen nach ihrer eigenen Scheidung, von Ängsten, gar Panikattacken. Winfrey gibt die mitfühlende Zuhörerin und bleibt doch die knallharte Journalistin und Geschäftsfrau, die wie keine andere Mediengröße Stars zum Seelenstriptease animiert.
Zu keiner Zeit zweifelt man selbst bei dieser gefühligen Unterhaltung an der Stärke und am Selbstbewusstsein der beiden über die Maßen erfolgreichen Frauen. Und das liegt nicht zuletzt an ihrer Garderobe: Beide tragen helle Blazer mit passenden, weich fließenden Marlenehosen – der perfekte Look, um feminin, aber nicht schwach und verletzlich zu wirken.
„Das Schönste an männlichen Männern ist etwas Feminines. Das Schönste an weiblichen Frauen ist etwas Männliches.“ Diese schnörkellos formulierte und verblüffend klare Erkenntnis geht auf eine Frau zurück, die sich seit ihrer Jugend sowohl von Männern als auch von Frauen angezogen fühlte: Susan Sontag. Berühmt wurde die amerikanische Essayistin, Autorin und Filmemacherin 1964 mit ihrem Aufsatz „Notes on camp“. Der Ausdruck „camp“, der im Englischen auch für Kitsch steht, war damals vor allem in Homosexuellenkreisen ein Codewort für betont überkandideltes Verhalten und den ironischen Umgang damit.
Für Sontag zählte neben Theatralik auch Leidenschaft und Verspieltheit dazu. Zwei, die ihrer Ansicht nach den Umgang mit glamouröser Künstlichkeit und Übertreibung perfekt beherrschten, waren der Regisseur Josef von Sternberg und seine Muse Marlene Dietrich, deren Filmen Sontag „unverschämten Ästhetizismus“ bescheinigte.
Dieser kommt besonders in „Die scharlachrote Kaiserin“ von 1934 zum Tragen. Sternberg setzte Marlene Dietrich als Katharina die Große in opulenten Kostümen und vor bombastischer Kulisse in Szene. Der Film, den Cineasten heute als avantgardistisch feiern, erwies sich im Kino als Flop. Immerhin schwärmte das Branchenblatt „Variety“, die Hauptdarstellerin habe nie schöner ausgesehen. Zwischen all den prunkvollen Kleidern, die sie im Film trägt, sticht eines ihrer Outfits besonders hervor: eine weiße Husarenuniform, die ihre Figur und die langen Beine in für damalige Verhältnisse fast unerhörter Weise betonte. Mehr als jede Robe. „Etwas Männliches“ war das Erfolgsgeheimnis, das Marlene Dietrich über Jahre den Status einer Leinwandgöttin sicherte.
Ihr Faible für maßgeschneiderte Anzüge und Kostüme, flache Schuhe und weiße Hemden mit Seidenkrawatte machte die Schauspielerin, die am 27. Dezember 120 Jahre alt geworden wäre, zeitweilig zur meistfotografierten Frau der Welt. Sie erfand mit ihrem Gespür für extravagante Eleganz, von dem sich auch Hollywoods Kostümdesigner beeinflussen ließen, nicht nur die Kunst- und Kultfigur Marlene, sondern auch das Powerdressing, wie es aktuell wieder angesagt ist in der Damenmode. Im Gegensatz zum klassischen Hosenanzug setzt es auf Knallfarben, markante Details und extra betonte Schulterpartien.
Was den Filmstar damals dazu bewegte, Hollywood in Hosen zu erobern, bewegt auch heute Modeschaffende und Modeinteressierte: das Brechen mit traditionellen Rollen und das Hinterfragen von Geschlechterzuordnungen. Die Hose „signalisierte ihre Unabhängigkeit als Schauspielerin und Frau“, schreibt die Historikerin Gabriele Katz in ihrer jüngst erschienenen Biografie „Marlene Dietrich – Die Kleider ihres Lebens“ (Verlag Langen Müller, 320 Seiten, 24 Euro), die spannende Einblicke in die Ankleidezimmer und Schrankkoffer der Filmdiva gewährt.
Schon bei ihrem Einstand in Hollywood Anfang der Dreißigerjahre stellte das Paramount-Studio Marlene Dietrich in einem Werbefilm in Frack und Zylinder vor – ein Look, der nach Ansicht von Katz doppelt skandalös war, weil er für einen „homoerotischen Touch“ sorgte und gleichzeitig direkte Konkurrenz zu männlichen Kollegen herstellte. Auch wenn Marlene Dietrich nach dem Zweiten Weltkrieg einen betont damenhaften Stil in Dior-Kostümen pflegte, griff sie doch bis zu ihrem offiziellen Bühnenabschied 1973 zumindest bei ihren Konzerten immer wieder auf den Frack zurück.
„Diese männliche Attitüde verstärkte ihren Charme“, sagte Sternberg einmal. Tatsächlich wirkte Marlene Dietrich nie verkleidet in ihren Anzügen, sie trug sie ganz selbstverständlich und unterstrich damit ihr Image einer modernen, emanzipierten und selbstbewussten Frau. Auf ihre Außenwirkung war die Actrice mit dem Porzellanteint und der trotz ihrer nur 1,68 Meter statuenhaften Figur überaus bedacht: „Ich kleide mich für mein Image. Nicht für mich selbst, nicht für das Publikum, nicht für die Mode, nicht für die Männer“, zitiert Katz die gebürtige Berlinerin und ist sich sicher, dass diese in Sachen Imagepflege heute „eine Influencerin par excellence“ sei.
Als solche wäre sie wohl der Liebling der Modebranche, zumal für die Frühjahrs- und Sommersaison wieder Powerdressing angesagt ist. Neben Dries van Noten, Stella McCartney, Vivienne Westwood oder Miuccia Prada setzt auch der Berliner Modeschöpfer Marcell Pustul mit seinem Label Marcell Berlin auf Schulterpolster und strenge Schnitte. Charakteristisch für seine auch in den USA gefeierte Kollektion sind Hosenanzüge mit breiter Silhouette. „Anzüge geben Selbstvertrauen und heben die Schultern. Sie symbolisieren Macht“, sagt der Designer selbst über seine Entwürfe.