Seine Gäste zu zwingen, in Adiletten zu schlüpfen, grenzt an Körperverletzung. Foto: instragram/the_sandal_club via srf.ch
Es war ein warmer Frühlingsabend, und die Einladung war vielversprechend.
Gastgeber war ein Paar, das ich erst seit kurzem kannte und das meinen Mann und mich auf «ein fröhliches, unkompliziertes Beisammensein» zu sich nach Hause eingeladen hatte. Wir waren nicht die einzigen Gäste. Drei uns noch unbekannte Paare sollten sich an diesem Abend einfinden. Die Temperaturen waren angenehm, und so entschloss ich mich, mich ein bisschen in Schale zu werfen, was bedeutete, dass ich ein Kleid und meine aktuellen Lieblingsschuhe wählte.
Voller Vorfreude, mit dem obligaten Blumenstrauss und einer Flasche Wein, standen wir kurz nach acht Uhr vor der Türe des schmucken Einfamilienhauses. Die Autos, die vor der Garage standen, verhiessen, dass wir zu den letzten Gästen gehörten. Und tatsächlich, als uns die Türe geöffnet wurde, hörte ich im Hintergrund Lachen und Gläserklirren. Kaum hatten wir das Entree betreten, Blumen und Wein überreicht, sagte die Gastgeberin in freundlichem Ton: «Würde es euch etwas ausmachen, die Schuhe auszuziehen?»
Ich erstarrte innerlich. Die Schuhe ausziehen? Ich schaute auf meine neuen, schwarzen Pumps. Und auch mein Mann guckte etwas indigniert auf sein poliertes Schuhwerk. Draussen herrschte das schönste Wetter, hier lebten keine Kleinkinder oder Kranke. Wir würden also keine gefährlichen Keime ins traute Heim bringen. Doch unser Gegenüber schien unser Zögern nicht richtig zu deuten und streckte uns einladend ein Paar weisse Hotelschlarpen aus Frotteestoff und ein Paar Adiletten entgegen, die definitiv schon bessere Zeiten gesehen hatten.
Kurze Zeit später sassen wir auf einer riesigen Couch, zusammen mit sehr netten Menschen, und nippten an unserem Prosecco. Aber irgendwie konnte ich mich gar nicht auf die Runde konzentrieren, ich war abgelenkt von Füssen in schwarz-weissen Adiletten, rosafarbenen Ballerinas, getigerten Plüschpantoffeln mit Ohren und einem Paar schwarzen Socken eines männlichen Gastes, der sich anscheinend halb erfolgreich dem Hausschuheterror entzogen hatte, obwohl seine Zehen gefährlich durch das abgenützte Garn schimmerten.
Ich musste mir Mühe geben, nicht hysterisch loszukichern. Das kleine Schwarze mit gestrickten Hüttenfinken zu tragen, hat durchaus eine leicht komische Note. Doch für unsere Gastgeber schien die Situation völlig normal zu sein, anscheinend waren sie es gewohnt, ihren Besuch zu nötigen, auf das eigene Schuhwerk zu verzichten, und aus ihrem Fundus von Finken auszustatten. «Wir haben eben einen neuen Parkettboden», begründeten sie ganz nebenbei die etwas ungewöhnliche Aktion.
Dank einiger Gläser Wein wurde es dann trotzdem noch ein ganz flotter Abend, auch wenn ich in einigen Momenten das Gefühl hatte, in einem «Monty Python»-Film gelandet zu sein. Aber irgendwie hatte die ganze Situation auch etwas Verbindendes, sie erinnerte an ein Mit-wildfremden-Menschen-in-der-Sauna-Sitzen. Nur war hier nicht die Nacktheit der gemeinsame Nenner, sondern die skurrilste Sammlung von Hausschuhen, die ich je gesehen hatte.
Wir verabschiedeten uns zeitig. Natürlich zogen wir unsere eigenen Schuhe erst vor der Haustüre an, wir wollten schliesslich keine bleibenden Schäden anrichten.
Das nette Paar sahen wir nie wieder. Aber mein Mann und ich schworen uns an diesem Abend, dass bei uns Zuhause nie ein Gast aus seinen Schuhen schlüpfen muss. Nicht mal, wenn draussen das schlimmste Schmuddelwetter herrscht. Denn die eigenen Schuhe tragen zu dürfen, ist doch irgendwie ein Menschenrecht. Oder nicht?
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Silvia Aeschbach ist Journalistin, Bloggerin und Autorin, sie schreibt u.a. für Tagesanzeiger.ch, «encore!» und die «SonntagsZeitung». Sie hat vier Bestseller geschrieben, «Bye-bye Traumfigur» erschien im Frühling 2018. Daneben führt sie die Stilberatung www.stilbüro.ch. Silvia Aeschbach lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Hunden in Zürich.