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Der Eiffelturm wird 125 Jahre: Eine praktische Sache Der Eiffelturm wird 125 Jahre Eine praktische Sache

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Der Eiffelturm wird 125 Jahre: Eine praktische Sache Der Eiffelturm wird 125 Jahre Eine praktische Sache

Wer sich in die Warteschlange am Ostpfeiler des Eiffelturms einreiht, muss bis zum Erreichen des Kassenhäuschens zwei Stunden warten. Vertane Zeit? Keineswegs. Denn von unten betrachtet ist der Turm nun einmal am schönsten. Als himmelwärts strebende Kathedrale bietet er sich dar, hell und durchscheinend bis zur Spitze, errichtet mit minimalistischem Aufwand aus Eisen, Luft und Licht.

Der Wind trägt Waffelduft herüber und die Rufe der Hütchenspieler, die auf wundersame Weise Geld wegzaubern können, das ihnen auf Vermehrung ihres Vermögens hoffende Touristen anvertrauen. Ihab und Asma bekommen davon wenig mit. Sie sind mit sich selbst beschäftigt. Sie sind verliebt. Ihab ist Bayern Münchens Trainer Pep Guardiola wie aus dem Gesicht geschnitten. Die rotblonde Asma könnte auf dem Laufsteg ihr Geld verdienen. „Wir sind in der Elektronikbranche tätig, in derselben Firma“, stellt Ihab klar. Er stammt aus Dubai, sie aus Tunesien. Für zwei Tage sind sie nach Paris gejettet. „Der Besuch des Eiffelturms ist für in Dubai oder Tunesien lebenden Menschen ein Muss“, sagt Asma.

Für den Rest der Menschheit gilt das offenbar das Gleiche. Jährlich gut sieben Millionen Touristen hat der Turm zu verkraften. Das Sprachengewirr auf dem Vorplatz lässt ahnen, wie es beim Turmbau zu Babel zugegangen sein wird.

Jenseits des Kassenhäuschens und des Metalldetektors geht es schneller. Ein Rädchen greift nun ins andere. Geräuschlos gleiten Fahrstühle noppenbesetzte Eisenträger entlang. Gitter, Bänder und Schilder kanalisieren den Menschenstrom. Hinauf- und hinabstrebende Besucher zirkulieren in separaten Systemen. Kollisionen sind ausgeschlossen.

Gitter sollen Lebensmüde vom Sprung in die Tiefe abhalten

Von der zweiten Aussichtsplattform fällt der Blick auf ein grauweiß wogendes Häusermeer. Während der Fahrt zur dritten und höchsten Plattform muss dann das Klima umgeschlagen sein. Das Meer wogt nicht mehr. Ganz ruhig liegt es da, durchsetzt von ein paar Farbtupfern, dem graugrünen Band der Seine, der Goldkuppel des Invalidendoms. Der Tour Montparnasse oder auch die Hochhäuser des Geschäftsviertels „La Defense“ scheinen zu Legosteinen geschrumpft. Die Faszination lässt nach. Die Vogelperspektive wirkt vertraut. Vom Flugzeug aus sieht Paris ähnlich aus.

Die Plattform selbst erinnert an die ­Gipfelstation einer Gebirgsseilbahn. Die Einrichtung mutet karg an. Eisiger Wind dringt durch Jacken und Türritzen. Im Durchschnitt ist es hier oben drei Grad kühler als unten. Ein brasilianisches Paar knabbert fröstelnd an Pizzaschnitten. Die Aussicht scheint nebensächlich. Die mit Goldringen verbrämten Fernrohre sind verwaist. Die Kameraaugen der Fotoapparate und Smartphones richten sich mehr nach drinnen. Zahllose Selfies entstehen. Eine Schulklasse gesellt sich hinzu. Kinder blicken durch Gitter, die Lebensmüde vom Sprung in die Tiefe abhalten sollen, in den Gesichtern lustvoller Schauder.

Der Eiffelturm wird 125 Jahre: Eine praktische Sache Der Eiffelturm wird 125 Jahre Eine praktische Sache

Wäre der Turm nur schön, er hätte kaum so lange durchgehalten. Der Zeitgeist ist ein launischer Geselle. Was heute als schön gilt, mag morgen scheußlich scheinen. Vorausschauend haben der Erbauer und seine Nachfahren denn auch stets darauf geachtet, dass sich die Existenzberechtigung des Bauwerks nicht nur auf Schönheit gründet, sondern auch auf Nützlichkeit. So manches Lifting, das die alte Dame erfuhr, hat weniger ihren ästhetischen Liebreiz erhöht als ihren Gebrauchswert. Für die jüngsten, noch nicht abgeschlossenen Eingriffe auf der ersten Turmetage gilt das auf alle Fälle. Bauarbeiter legen dort einen drei Zentimeter dicken Glasboden, errichten eine für Firmen sicherlich attraktive Tagungsstätte und einen Vorführsaal.

Während über die Nützlichkeit meist Einvernehmen herrschte, gingen die Urteile über die Schönheit weit auseinander. Der Schriftsteller Guy de Maupassant und der Opernarchitekt Charles Garnier beklagten „einen monströsen Turm“, der Paris zur Schande gereiche. Eiffel ließ sich nicht beirren. Zur Einweihung erklomm der Ingenieur die oberste Etage, hisste am 31. März 1889 um 13.30 Uhr auf dem damals höchsten Gebäude der Welt die Trikolore. Von unten schallte Kanonendonner herauf. Abends erstrahlte der Turm im Schein von 10 000 Gaslaternen.

Von der James-Bond-Kulisse zum Feuerwerksständer

Die Versuche, ihn plattzumachen, der Eisengigant hat sie alle überlebt. Bereits 1909 sollte er abgerissen werden. Er sei nur als ein auf 20 Jahre angelegtes Provisorium für die Weltausstellung genehmigt worden, argumentierten die Turmgegner. Eiffel hielt dagegen, errichtete auf der höchsten Plattform eine Forschungsstation zur Erkundung von Materialien und deren Flugeigenschaften. Fortan sollte sich der Turm für alles hergeben, was man von ihm verlangte. Er war Sendestudio, Tauchstation, Schlittschuhbahn oder auch James-Bond-Filmkulisse. Und natürlich wird die alte Dame am 14. Juli, dem Nationalfeiertag, wieder als Feuerwerksständer herhalten.

Luftiger Standort eines Spitzenrestaurants ist der Turm außerdem. Der Michelin-Sterne-Koch Alain Ducasse betreibt in der zweiten Turmetage das Jules Verne. Vom Südpfeiler führt ein Aufzug direkt ins Restaurant. Der Schritt ist gedämpft wie das Licht. Kellner tragen Meeresfrüchtecreme auf und grüne Spargel in Trüffelschaum. Draußen hat sich die Nacht über Paris gesenkt. Die weißgraue Häuserflut ist einem flackernden Lichtermeer gewichen. Ducasse sagte einmal, mehr als ein Restaurant sei das Jules Verne ein Ort, der einen Traum vermittele.

115 Meter tiefer geht der Senegalese Ali in Sweatshirt, Jogginghose und Sportschuhen seinen Geschäften nach. Der 23-Jährige bietet Blecheiffeltürme feil. Die handtellergroßen Nachbildungen baumeln an Eisenringen. Zwischen einem und fünf Euro kosten sie. Während Ali einen Turm vom Ring streift, lässt er den Blick umherschweifen, tritt unruhig von einem Bein aufs andere. Er habe keine Aufenthaltspapiere, erzählt er. Mit zwei Freunden sei er 2010 nach Frankreich gekommen. Zu dritt hätten sie für 320 Euro im Monat ein Zimmer gemietet. „Der Eiffelturm hält uns am Leben“, sagt Ali.

Asma und Ihab treten hinzu. Asma lächelt. Sie streckt den Arm aus, die Finger leicht gespreizt. Am mittleren trägt sie nun einen Ring. In Gold gefasste Diamanten funkeln im Licht der Turmscheinwerfer. „Ihab hat ihn mir oben geschenkt, er will mich heiraten“, sagt sie.

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