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Ich erinnere mich noch an dieses Fernseh-Interview. Michael Wendler saß bildschirmfüllend auf einem creme-weißen Sofa mit goldener Borte. Braun gebrannt und hineingenäht in einen Glanzanzug berichtet er, wie intensiv er sich selbst liebt. Über ihm hing ein diamantgerahmtes Bild, das ihn nackt in einer Badewanne voller Münzen zeigt. Sein Blick: angestrengt verwegen.

Er sprach damals, glaube ich, ganz stolz davon, sich einen goldenen Spiegel zu kaufen, vermutlich um sich fortan bei autoerotischen Handlungen in aristokratischem Ambiente selbst betrachten zu können. Ferner plane er, sich musikalisch seriöseren Genres zuzuwenden. Etwas weniger Ballermann. Schön und gut, unterbrach ihn ein Journalist, aber finde der Wendler nicht, dass –

Das sah der Wendler natürlich nicht so. Der Wendler, fuhr der Wendler trotzig fort, fühle sich in der Öffentlichkeit total falsch dargestellt. Bei „Big Brother“ aber werde er, der Wendler, den wahren Wendler zeigen, erklärte der Wendler. Das war der Wendler 2014.

Inzwischen ist einiges passiert. Der Wendler war im „Dschungelcamp“, im „Sommerhaus“, er ist auf Instagram, ging eine Beziehung mit einer minderjährigen Freundin ein, hatte lauter Werbedeals und sonstige Formate, einen verlorenen Kampf gegen Oliver Pocher, und es kursierte ein Penisbild. Dann brach eine Pandemie aus – und alles ging sehr schnell. Plötzlich präsentierte sich da ein nie zuvor gesehener, ein neuer, ein anderer Wendler.

So bedrückend wie traurig

Die persönliche wie mediale Lawine, die der Wendler nun mit einem kleinen Video ins Rollen brachte, war so beeindruckend wie traurig: Innerhalb weniger Stunden schaffte es dieser bislang unbekannte neue Wendler, dessen gesamter USP auf einem dicken Sockel schwer erträglicher Trashhaftigkeit thronte, gestützt von einer unerschütterlichen Zuversicht hinsichtlich des eigenen Könnens, sich offenbar bei vollem Bewusstsein und willentlich den Boden unter den eigenen Füßen wegzuziehen und sich aus all seinen bestehenden öffentlichen Verpflichtungen zu canceln.

Die Alukalypse begann mit einem weichgezeichneten Insta-Video. Sorgenvoll blickt der Wendler in die Kamera, schaut ab und zu auf einen wohl vorbereiteten Text. „Nahezu alle Fernsehsender inklusive RTL machen sich mitschuldig, sind gleichgeschaltet, politisch gesteuert“, sagt er und wirft der Bundesregierung „bezüglich der angeblichen Corona-Pandemie und deren resultierende Maßnahmen grobe und schwere Verstöße gegen die Verfassung“ vor.

Für einen Augenblick existierte eine ungewisse Wirklichkeit, in der alles gleichzeitig möglich war. Was war passiert? Handelte es sich um eine verwirrenden medialen Stunt? Einen Prank? Einen seltsamen Promo-Gag? Ein Sozialexperiment? Oder aber tatsächlich: um einen Mann, der sich zum kompletten Coronaleugner radikalisiert hat, fern vom gesunden Menschenverstand, fern von den Produktionsumständen einer Castingshow, fern vom eigenen Manager.

Der saß schließlich mit den Tränen ringend in einer RTL-Sondersendung von Oliver Pocher und dessen Frau Amira und berichtete, was er selbst nicht so genau weiß. Wendlers Werbepartner Kaufland zog augenblicklich die Reißleine und entfernte einen am selben Tag veröffentlichten Spot mit Wendler aus all seinen Kanälen – es wurde schneller gelöscht als das im Internet kursierende wendlerische Penisbild. Und RTL kündigte an, weitere Projekte mit dem Wendler auf Eis zu legen.

Gleichzeitig postete Wendlers Frau Laura mit der Ruhe einer Lebensgefährtin, die während eines Orkans ihre Wäsche aufhängt, Insta-Stories von ihren Halloween-Einkäufen. Das Plastikskelett war da als Trash-Version eines Memento-Mori-Schädels vielleicht genau das richtige Sinnbild für Wendlers soeben gestorben Karriere.

In einen neuen Wendler hineinradikalisiert

Vor drei Monaten witzelte er noch über Verschwörungstheorien und schien die Maßnahmen für nachvollziehbar zu halten, er sagte mehrmals seine eigene Hochzeit aus Sicherheitsgründen ab. Wendler ist nicht der Erste, der sich selber öffentlich mit seinem Aluhut stranguliert. Auch den ehemaligen DSDS-Juror Xavier Naidoo haben wir an die dunkle Seite des Mondes verloren. Weichen die ganzen Weichzeichner auch den Verstand auf? Aber dann wäre andererseits Dieter Bohlen ja schon längst ein eigenes Pizzagate.

Die Kolumne

Samira El Ouassil ist Zeitungswissenschaftlerin, verdient ihr Geld aber mit Schauspielerei und politischem Ghostwriting. Außerdem ist sie Vortragsreisende und macht, zusammen mit Friedemann Karig, den Podcast „Piratensender Powerplay“. Bei Übermedien schreibt sie seit 2018 jede Woche über Medien, Politik und Kommunikation.

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Dem „Spiegel“ sagte der Konspirations-Koch Attila Hildmann am Freitag, dass er den Wendler von „Let’s Dance“ kenne, der Tanzshow, in der beide aufgetreten sind. Die beiden hätten aber seit 2016 keinen Kontakt mehr gehabt, dann habe der Wendler den Koch am Mittwoch nachts kontaktiert, um ihm zu sagen, dass er seine Zusammenarbeit mit RTL beenden wolle. „Er weiß, dass Deutschland nicht mehr demokratisch regiert wird“, erklärte Hildmann dem „Spiegel“. „Er hat genau verfolgt, was Xavier und ich gemacht haben, in den letzten sechs Monaten unserer politischen Aufklärungsarbeit.“

Da war es vor unseren Augen in aller Öffentlichkeit passiert: Mit Hilfe der Prepperganda eines Telefonats hat ein Wendler sich in einen neuen Wendler hineinradikalisiert, sich in einen weniger glänzenden Alu-Anzug hineinnähen lassen. Kein Incel ohne Freundin, kein Abgehängter ohne Einkommen, nicht einmal jemand, der durch die Coronoakrise massive Verluste eingefahren hätte, denn die Shows und Werbedeals liefen trotz der Pandemie weiter.

Ohne ihn ferndiagnostisch pathologisieren zu wollen, wie man es problematischerweise bei Xavier Naidoo beobachten konnte, habe ich mich gefragt, wie jemand, der so im sozialen Netz eingebunden zu sein schien, letztlich beschließen konnte, durch dieses freiwillig fallen zu wollen. Wie entscheidet man sich für so einen Promitod?

Ich möchte, um das vielleicht nachvollziehen zu können, zwei Mechaniken vorstellen, die in die Medienrezeption vom Wendler mit hineingewirkt haben könnten und exemplarisch für Radikalisierung stehen sollen, die Freunden, Kollegen und Verwandte durchmachen.

Der Kaninchenbau

Ende 2019 gab es eine sehr bemerkenswerte Studie der Universität Berkley: „Examining YouTube’s Rabbit Hole of Radicalization“. Darin gehen Mark Ledwich und Anna Zaitsevsin dem Umstand nach, wie sich Nutzer vor allem auf Youtube selbst radikalisieren; nicht bewusst, sondern eher nebenbei und systematisch aufgrund des Youtube-Algorithmus.

Der Eingang in den Kaninchenbaus ist ein thematisches Interesse. Sagen wir etwa, man ist erkältet und sucht ein DIY-Rezept für einen Ingweraufguss. Man schaut also ein paar Videos an, bis man die perfekte Ratio zwischen Ingwer, Honig und Zitrone von einem New Yorker Sternekoch oder einer Großmutter in Toronto erklärt bekommt. Der Algorithmus lernt dazu und zeigt fortan auf der Startseite Hausmittelrezepte, allerdings naturgemäß jene, die besonders reichweitenstark oder viel kommentiert, geliked oder disliked wurden.

Schaut man etwas weiter, kommen Videos mit thematischen Querverbindungen hinzu: Homöopathie-Selbstexperimente, Videos über Antibiotikaresistenz, Wutreden über die Pharmalobby. Beim nächsten Aufruf werden einem dann Videos vorgeschlagen zu Bill Gates und seiner Verbindung zur WHO, dazwischen zwei Videos von Männern in Gaming-Stühlen, die „Denkt doch mal für euch nach! Wir liefern hier nur die Fakten!“ rufen, dann ein Krankenpfleger, der leere Intensivbetten mit dem Kommentar „Wo sind denn die ganzen Kranken?“ abfilmt – und plötzlich taucht da ein Ken-Jebsen-Video auf, das man vielleicht wegen des albernen Make-ups anklickt oder weil es vier Millionen Views hat. Von dort aus ist man dann schnell tief drin im digitalen Kaninchenbau. Bis man bei der Infragestellung der gesamten Pandemie landet oder bei Echsenmenschen wie Barack Obama oder dem Papst.

Und das alles fing mit einer Erkältung und Ingwertee an.

Während man aus Langeweile, Neugier oder Sinnsuche einen algorithmisch auf Extremität hinkuratierten Fluss an Informationen rezipiert, der einen immer weiter eben in diesen Kaninchenbau hinein lenkt, erfährt man dabei gleichzeitig eine Art informationelle Abstumpfung, weil jedes Video, das vorgeschlagen wird, noch ein My radikaler, extremer oder realitätsferner ist als das vorhergehende.

Das bedeutet, man muss gar nicht mit dem Endpunkt des Tunnels d’accord gehen, man ist vorher vielleicht belustigt oder verschreckt, aber die kleinen Momente der Überzeugung bei den – im Vergleich zu komplett deliranten „Pizzagate“-Videos – harmloseren Inhalten, hat man gedanklich zumindest einmal durchdacht und zugelassen.

Das lässt sich auch auf unserer Rezeptionsverhalten in anderen sozialen Netzwerken übertragen. Der Mechanismus ist überall gleich, wo uns algorithmisierte Vorschläge auf Grundlage unseres selbst gewählten Medienmenüs gemacht werden. Das Recherchenetzwerk Correctiv hat diese Woche im Zuge einer aufwändigen Recherche gezeigt, welche Akquise Rechte auf Instagram betreiben. Das Prinzip ist auch hier dasselbe. Gewöhnungseffekte und Algorithmen, die zu ihrem Vorteil genutzt werden. Influencerinnen, die Faschismus ein schönes Gesicht geben, stehen am Eingang des Kaninchenbaus, man klickt auf ihre Bilder und bekommt immer mehr ihrer subtil verpackten rechten Inhalte auf die eigene Startseite gespült.

Lisa H., früher bekannt als Lisa Licentia, erklärte Correctiv, wie sie lernte, Follower nach rechts zu lotsen: „Ich als Frau würde niemals auf die Idee kommen, Kaiser-Marschmusik unter meine Bilder zu legen. Aber wenn ich das 20 Mal sehe, finde ich es lustig und mache es dann auch“, sagt sie. „Man hat ein Feindbild, und dieses Feindbild versucht man so nach und nach, immer tröpfelnd den Leuten einzuflößen.“

Digitale Inkubatoren

Diese netzwerkdynamischen Effekte laufen natürlich parallel zur Pandemie. Sie werden durch die Sehnsucht nach Einordnung, Eindeutigkeit und dem Wunsch verstärkt, die eigene Informationsohnmacht zu überwinden. Und zwar in vermeintlich geschlossenen und unmoderierten Räumen kommunikativer Selbsthilfe wie Telegram-, Whatsapp und Facebook-Gruppen. Besonderes die Art, wie Facebook den Algorithmus hin zu Nutzerinhalten geändert hat, fördert diese selbst gebauten Echokammern.

Die Plattform versuchte mehrmals, den Schwerpunkt in den Timelines wegzulenken von externen Quellen, insbesondere von Nachrichtenanbietern, hin zu persönlichen Inhalten: Dafür wurden die Facebook-Gruppen gefördert, Kommentar-Verhalten hervorgehoben und auf Facebook entstandene Inhalte sichtbarer gemacht. So wollte Facebook auch vom Image des Nachrichten-Aggregators wegkommen, denn soziale Netzwerke wollten nie Medienagenturen oder Nachrichtenagenturen sein.

Die hermetischen Gruppen sind naturgemäß Inkubatoren geworden für jede Form von Verschwörungstheorie, weil sie sich natürlich einer Moderation und einem Korrektiv entziehen. Facebook-Gruppen haben maßgeblich zum Aufstieg des QAnon-Kults beigetragen. Von einem Shitpost auf einer Katzenmädchen-Hentai-Austausch-Plattform namens „4Chan“ ist es in das etablierte Netzwerk hineingesickert und wurde plötzlich zu etwas, das Menschen ernst nahmen. Jetzt haben wir tausende von Facebook-Gruppen, die sich mit in aller Ernsthaftigkeit mit QAnon und anderen Verschwörungstheorien auseinandersetzen. Personen, die sich in diesen geistigen Dark Room hinein begeben, bekommen ironischerweise darin das Gefühl, dass sie diejenigen sind, die endlich verstanden haben, was in der Welt da draußen wirklich passiert.

Das lässt sich natürlich auch auf Whatsapp übertragen, wie wir bei den rechtsextremen Chatgruppen feststellen können, die jüngst aufgedeckt wurden: Es fängt mit Witzen und Memes an, bis man ein Menschenfeindlichkeit ganz normal findet. So kann man sich ebenfalls eine Wissenschaftsfeindlichkeit kultivieren und Empfänglichkeit für Verschwörungstheorien, das Rabbithole-Prinzip im Kleinen. Es ist auch kein Zufall, dass Hoax-Kettenbriefe gerade über Whatsapp so erfolgreich sind, und vielleicht haben auch Ihnen Ihre Verwandten schon mal ein totales Unsinnsvideo zu Covid-19 weitergeleitet. Womit wir beim ganzen Wirkprinzip von Telegram sind, das zwar offen ist, aber einen geschlossenen Raum der (angeblichen) Wahrheit simuliert. Womit wir dann wiederum zurück beim Wendler wären.

Jetzt ertrinkt er in Katzengold

Zum Ende seiner Ansage wirbt er nicht mehr für seinen Facebook- oder Youtube-Kanal, weil sie „zensiert“ seien, sondern für seinen neuen Kanal bei Telegram. Dass diese Gruppen natürlich keinen Qualitätsstandards entsprechen können und wollen, musste RTL selbst merken, als in Pochers Wendler-Sendung ausgerechnet aus einer Wendler-Gruppe zitiert wurde, die gar nicht der echte Wendler-Telegram-Kanal war, sondern ein Fake. Was der konsequenteste Twist dieser ganzen Geschichte ist, die darauf basiert, dass ein dauerinszenierter Mensch auf eine erfundene Erzählung reinfällt, weswegen er der Regierung die Verbreitung falscher Fakten vorwirft.

2014 badete der Wendler in einer Wanne voller Goldmünzen, jetzt ertrinkt er in Katzengold. An ihm können wir sehen, wie schnell es geht, quasi von jetzt auf gleich: bisschen Rabbit Hole, paar Gespräche mit Attila Hildmann, etwas geographische Entfernung von Deutschland und dazu vielleicht ein Gemüt, das sehr unbedarft und gutgläubig ist. So wird plötzlich aus einem erfolgreichen Trash-Sänger, der in mehr oder weniger gefestigten Strukturen lebte, ein Mann, der mit Aluhut auf der dunklen Seite des Mondes gelandet ist.

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